Freiheit für Tempelhof statt Strategien für Investoren

Stellungnahme vom Mieterrat Chamissoplatz e.V. aus Anlass der Bürgerinformationsveranstaltung des Senats zur Parklandschaft Tempelhof am 2.5.2011

Freiheit für Tempelhof statt Strategien für Investoren

Im November 2010 hat der Senat großspurig verkünden lassen, dass eine Bebauung der Kleingartenanlage und der weiteren zunächst verplanten Gebiete nördlich des Columbiadamms nicht stattfinden soll. Das bisher laufende und nach Jahren nicht abgeschlossene Verfahren zur Erstellung eines Flächennutzungsplans für das Columbia-Quartier wird offensichtlich vom jetzigen Senat derzeit nicht weiterverfolgt.
Stattdessen plant der Senat, voran die zuständige Senatorin Frau Junge-Reyer, klammheimlich eine schwerwiegende Änderung des Columbia-Quartiers ohne die immer wieder öffentlich bekundete angebliche Bürgerbeteilung.
Fakt ist: Inzwischen soll die geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes an der Grenze zu Kreuzberg um ein Drittel mehr ausgedehnt werden als die bisher öffentlich bekannte Größe von 15 ha. Diese Größe war Grundlage des bisher nicht beschlossenen Flächennutzungsplanes. Das Columbia-Quartier soll unter dem Leitbild „Sport, Wellness, Gesundheit“ zu einem „Gesundheitsquartier“ entwickelt werden. Nach Angaben der neuer Präsentationsunterlagen sollen allein 12 ha Nettobauland für gesundheitliche Zwecke genutzt werden.
Es liegt hier der Verdacht nahe, dass die vorerst aufgegebene Bebauung auf der Nordseite des Columbiadamms auf die zur Bebauung vorgesehene Fläche südlich des Columbiadamms (Tempelhofer Feld) draufgesattelt werden soll, um höhere Renditen aufgrund einer verdichteten Bebauung zu erzielen.


Warum wird das Verfahren zum neuen Flächennutzungsplans nicht zügig im Senat entschieden bzw. nach Aufkündigung der Bebauung auf der nördlichen Seite neu aufgerollt?
Will der Senat je nach den Vorstellungen und Bedürfnissen der bereitstehenden Investoren die Bebauungspläne ohne Flächennutzungsplan und notwendige Bürgerbeteiligung verabschieden?
Haben die verantwortungslosen Senatspolitiker die seit Jahren bekannten Forschungsergebnisse zur negativen Klimaentwicklung bei verdichteter Bebauung vergessen?
Die Belange des Klimaschutzes für das angrenzende Stadtgebiet bis zum Potsdamer Platz werden durch jede Art von Bebauung des Columbia-Quartiers negativ beeinflusst. Das ist den verantwortlichen Politikern im Senat offensichtlich egal.
Wird der Senat in einigen Jahren (oder auch bereits unmittelbar nach der nächsten Wahl?) erneut die Weiterverwirklichung des Columbia-Quartiers auf der Nordseite betreiben?
Schließlich fehlt ein neuer Flächennutzungsplan und was schert den jetzigen oder künftigen Senat das Geschwätz von gestern“ Wer die „Haltbarkeitsdauer“ vorgeblich verbindlicher Zusagen von Politikerseite kennt, weiß das diese oft nach der Wahl gebrochen werden. Ohne verbindliche Festlegung in einem neuen Flächennutzungsplan sind die im November 2010 getroffenen Aussagen der Politiker auf der Bürgerinformationsveranstaltung zur „(derzeit) nicht mehr geplanten Bebauung nördlich des Columbiadamms“ wertloses Geschwätz.
Dem Areal des einstigen Standortes des Zwangsarbeiterlagers am Columbiadamm droht laut Statement von Senatseite eine bauliche Überformung durch die IGA (Internationale Gartenausstellung) und dem Bau des Gesundheitsquartiers. Der Mieterrat fordert: Die Orte des KZ Columbia-Hauses und der Zwangsarbeiter müssen von jeglicher Bebauung freibleiben.

Kritik am „Siegerentwurf“ zur Parklandschaft

Bedauerlicherweise fehlt dem „Siegerentwurf“ der Blick auf die Geschichte des Tempelhofer Feldes, dem entsprechend die Sensibilität für die vielschichtigen authentischen historischen Orte dieses Areals. Gerade aber die vielschichtige Historie, die in den Raum des Tempelhofer Feldes eingeschrieben ist, bietet hinreichend Ansatzpunkte scheinbar „leere Orte“ mit Erinnerungen zu füllen und auf dieser Basis neue Perspektiven zu entwickeln.
Der von der Jury ausgewählte Entwurf sieht ein „Felsenmonument“, einen „Kletterfelsen“ und ein „Denkmal für die Humboldt-Brüder“ vor. Bedarf es eines neuen Monuments auf dem Tempelhofer Feld? – Schon vergessen, dass dieses Gelände im historischen Prozess zur Genüge mit Ideen und Machtphantasien zu realisierender „Monumente“, Monumentalität und Großmannssucht, heimgesucht wurde? Der vorgesehene 60 m hohe „Kletterfelsen“ auf dem weithin ebenen Gelände ist ein phallisches Monument, dass der Monumentalität des Flughafengebäudes nichts nichts entgegensetzt, sondern mit dieser korrespondiert.
Bedarf es einer vom Siegerentwurf geltend gemachten „neuen Landmarke“ auf dem Tempelhofer Feld? Nein! Die Landschaftsformation „Tempelhofer Berge“ bedarf keines künstlich geschaffenen „Kletterberges“, vielmehr sollte das einzigartige historische Gepräge des Gebietes „Tempelhofer Berge“ und speziell des Areals Tempelhofer Feld erinnert werden.
In Berlin wurde bereits anno 1883 das weltweit erste Denkmal für Wilhelm von Humboldt und im gleichen Jahr ein Denkmal für Alexander von Humboldt am historischen Ort deren einstigen Wirkens errichtet: am Ort der von W. von Humboldt gegründeten, im Jahre 1810 eröffneten Berliner Universität, die 1949 nach den Brüdern Humboldt benannt wurde. – Jetzt ein auf dem Tempelhofer Feld gelegenes „Denkmal“ in Gestalt eines „Kletterfelsens“ mit den darauf positionierten Humboldtbrüdern errichten zu wollen, ist ein absurder Versuch plakativer Nutzung namhafter historischer Persönlichkeiten für ein verqueres Konstrukt.
Der Entwurf verortet die Humboldt-Brüder auf einem Gelände, das seit dem frühen 18. Jahrhundert militärisch als Exerzier- und Paradefläche genutzt wurde und seither kontinuierlich ein Ort wachsender millitärischer Nutzung war. Der Forschungsreisende und Universalgelehrte Alexander von Humboldt sowie der Sprachwissenschafter und Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt werden mit diesem Entwurf in ein historisches Gelände jahrhunderterlanger fortgesetzter militärischer Nutzung placiert. Was soll der Unsinn?
Denkmale werden üblicherweise an Orten des Lebens und Wirkens der Geehrten errichtet. Historischer Fakt ist: Die Brüder Humboldt haben zu keiner Zeit auf dem historischen Areal Tempelhofer Feld gewirkt. Auf dem Hintergrund der skizzierten Fakten ist die in dem Entwurf vorgesehene Plazierung der Humboldt-Brüder auf dem Tempelhofer Feld eine an Absurdität nicht zu überbietende geschichtsklitternde Konstruktion.
Der Siegerentwurf ist, alles in allem, ein höchst problematisches Konstrukt. Der Entwurf schafft kein Denkmal für die Brüder Humboldt, vielmehr reduziert er die Gelehrten zu Statisten eines „Klettermonuments“, das eine Freizeitpark-Attraktion werden und damit die Immobilie Tempelhofer Feld für Investoren aufwerten soll.

Der Mieterrat Chamissoplatz e.V. fordert hiermit den Senat auf, keine finanziellen Mittel für ein unsinniges „Felsenmonument“ zu verschleudern. Der Senat wird aufgefordert, diese Mittel stattdessen für eine notwendige Gedenk- und Dokumentationsstätte zur Darstellung der Geschichte des Konzentrationslagers Columbia-Haus und der einstigen Zwangsarbeiterlager auf dem Tempelhofer Feld zur Verfügung zu stellen.

Mieterrrat Chamissoplatz e.V.
Willibald-Alexis-str. 12
10965 Berlin
Telefon/Fax 69 50 93 65

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E-Mail: mieterladencha@aol.com

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